Eishockey-Jahrbuch 1986

Eishockey-Jahrbuch 1986

Klaus-Peter Knospe

Offizielles Jahrbuch des Deutschen Eishockey-Bundes
in Zusammenarbeit mit der Redaktion des SPORT-Kurier

(c) 1986 Copress Verlag München, ISBN 3-7679-0258-3

Aufsteiger Eintracht Frankfurt:
Lösung des Rätsels hat zwei Worte

In Frankfurt findet jetzt der dritte Versuch statt. Die Eintracht selbst hat es vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten schon einmal probiert. Und auch beim FC Bayern München war etwa zur gleichen Zeit das Unternehmen schiefgegangen, langfristig mit den beiden wohl populärsten Mannschaftssportarten in der höchsten Klasse vertreten zu sein.

Die erste Voraussetzung, an der das Unternehmen Eishockey-Bundesliga bei den Hessen damals - Ende der sechziger Jahre - scheiterte, ist inzwischen optimal gegeben. Nämlich eine Sportstätte, die den Spielern beste Möglichkeiten und dem verwöhnten Publikum die gewünschte Bequemlichkeit bietet. Die 6000 Besuchern Platz bietende Eissporthalle am Ratsweg, in unmittelbarer Nachbarschaft der Fußballstadien am Bornheimer Hang und am Riederwald gelegen, ist jedenfalls in keiner Hinsicht zu vergleichen mit der offenen Eisfläche inmitten der Radrennbahn im Waldstadion. Dort spielten die Frankfurter auch Mitte der siebziger Jahre, als sie - bis in die tiefsten Eishockeytiefen abgestiegen -gegenüber den Zuschauern gelegentlich auch mal in der Überzahl waren. Heute ist vieles anders in Frankfurt, nicht zuletzt das Interesse beim Publikum. In der vergangenen Saison kamen im Durchschnitt 3000 zu den Spielen der Haupt- und der Qualifikationsrunde. Kennern der Verhältnisse an anderen Orten imponierte dabei weniger die Quantität als die Qualität der Frankfurter Zuschauer, die in der heißen Phase des Aufstiegskampfes geradezu Düsseldorfer Zustände an den Ratsweg zauberten.

Bei ihrem Überschwang, mit dem die Fans ihre Mannschaft feierten, klang immer auch ein wenig Schadenfreude mit. Schadenfreude sicher auch über die düpierten Favoriten aus Berlin und Bayreuth, aus Garmisch und Augsburg, vor allem aber über die Experten. die sich im Falle dieser Qualifikationsrunde so gründlich geirrt hatten wie selten einmal zuvor. Es fällt auch im nachhinein nicht leicht, plausible Erklärungen für den Aufstieg einer Mannschaft zu finden, die bei fast allen Vergleichen mit den härtesten Konkurrenten schlechter abschneiden mußte. So hieß es unter anderem, die erfahrenen Spieler, die sogenannten Leistungsträger also, seien zu alt, die talentierten hingegen zu jung und zu unerfahren, um ein so hohes Ziel wie die Erstklassigkeit anzustreben. Die Vermutung blieb weit hinter der Wirklichkeit zurück, auch nach 70 Saisonspielen zeigten die »alten Herren« Potz (33), Vorlicek (35) oder Schoof (34) keinerlei Ermüdungserscheinungen und die jungen Spritzer wie Hartfuß und Göbel (beide 18) ungeahntes Durchsetzungsvermögen.

Die Lösung um das Rätsel des jüngsten Frankfurter Erfolgs ist mit der Erklärung, warum in der Main-Metropole auch nach 27 Jahren überhaupt noch Eishockey gespielt wird. eng verbunden. Der Erfolgsgarant besteht aus zwei Wörtern und heißt Günther Herold. Gewiß gibt es auch in anderen Städten hierzulande Männer, die sich allen Widerständen zum Trotz zur Aufgabe gemacht haben, eine Sportart am Leben zu erhalten. Doch der Kampf, den Günther Herold in mehr als zwei Jahrzehnten mit allen Widrigkeiten zu führen hatte, dürfte ziemlich einmalig sein. Was den Mann aus der Baubranche von vielen seiner Kollegen in einem vergleichbaren Ehrenamt unterscheidet, ist nicht nur der späte Kontakt mit dem Eishockey (bis zu seinem 30. Lebensjahr interessierte er sich viel mehr für Fußball); auch seine Fähigkeit, andere mögen es Unvernunft nennen, seine Ziele unter jeglicher Mißachtung eigener Interessen zu verfolgen, ist bei Sportfunktionären sicher nicht alltäglich. Viermal schon erlitt Herold einen Herzinfarkt als Folge dessen, was er zu seinem Hobby gemacht hatte.

Nur eins von vielen Beispielen, die als Ursache der ganzen Aufregung angesehen werden können: Der Bau einer Eissporthalle in Frankfurt war schon im Gespräch, als Herold vor rund zwanzig Jahren als Nachfolger des ähnlich engagierten Adi Krauter zum Eishockey-Obmann gewählt wurde. Zwei-, dreimal wurden von den zuständigen städtischen Behörden schon Pläne für das neue Bauwerk präsentiert, einmal gar wurde die bereits terminierte Grundsteinlegung wegen irgendwelcher Einwände in letzter Minute abgesagt. Erst Ende 1981 dann zog die Mannschaft in das neue Schmuckstück ein, nachdem sie zwischenzeitlich auch schon mal ihr Heimrecht verkauft hatte, um den Spielbetrieb aufrechterhalten zu können, oder in die Provinz nach Rödermark gezogen war, weil die Frankfurter Verhältnisse für Spieler wie Zuschauer nicht mehr zumutbar waren.

Wie fest Günther Herold die Fäden »seiner« Abteilung in den Händen hält, zeigte sich besonders bei längeren Krankenhausaufenthalten. Stand der »Mister Eishockey« nicht persönlich an der Bande, ließen es die Spieler nicht selten langsamer angehen. Sowie der Boß aber wieder zurückkehrte, hatte Schlendrian keine Chance, und es ging aufwärts.

Eine solch bestimmende Rolle, wie sie der Abteilungsleiter bei der Eintracht spielt, birgt freilich auch Gefahren in sich. Der Hang zu eigenständigen, bisweilen eigensinnigen Entscheidungen, für die zunächst einmal kaum jemand Verständnis aufbringt, ist da vorprogrammiert, hier und da auch eine überzogene Selbstdarstellung. Wenn Günther Herold etwa den Erfolg der Mannschaft unter anderem damit erklärt, daß es bei der Eintracht »keine Querelen und Skandale« gäbe, so ist das zwar nicht gleich zu widerlegen. Doch diese Ruhe nach außen stellte sich in einigen Fällen auch nur als Ruhe nach dem Sturm dar. Nicht selten nämlich hat der Abteilungsleiter Probleme auf die Art aus der Welt geschafft, daß er ihre Lösung in seinem Sinne von der Fortsetzung seiner Arbeit für den Verein abhängig gemacht hat. Seiner unumstößlichen Position bewußt, konnte er sich seiner Sache fast immer sicher sein. Ob nun Mannschaftskapitän Helmut Keller vor zwei Jahren seinen »unwiderruflichen« Rücktritt von diesem Amt nach einer Predigt von Herold zurücknahm oder das vorübergehend aufgebrachte Publikum nach einer saftigen Erhöhung der Eintrittspreise erst rebellierte und dann in Scharen kam -Herold hat es stets verstanden, die Dinge in seinem Sinne zu beeinflussen.

Das soll freilich nicht heißen, daß der Autodidakt in Sachen Eishockey die Abteilung wie ein Diktator regiert. Er ist nicht nur ein gewiefter Taktiker, sondern auch - bei aller Spontaneität -ein Mann, der mit sehr viel Fingerspitzengefühl arbeitet. Es erstaunt immer wieder, daß Spieler, die andernorts wegen ihrer Eigenarten Probleme im mannschaftlichen Verband hatten, bei der Eintracht gut Fuß fassen. Das jüngste Beispiel hierfür ist Alexander Groß, einst in Füssen als großes Talent bestaunt, das später aber weder in Düsseldorf noch in Freiburg den Erwartungen gerecht wurde, ehe er sich bei der Eintracht zu einem der technisch brillantesten Stürmer der zweiten Bundesliga entwickelte.

Eine weitere Qualität, die seine Umgebung an Günther Herold schätzt, ist dessen Treue und Zuverlässigkeit. Mancher seiner Kollegen hätte nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga die Stelle des zweiten Ausländers neu besetzt, wo doch der Kanadier Trevor Erhardt schon in der zweiten Klasse nur zum gehobenen Durchschnitt zählte. Herold aber hielt an dem Torjäger fest, weil er dessen Bereitschaft, sich für die Mannschaft

bedingungslos einzusetzen, höher einschätzt als das Risiko, das mit der Verpflichtung jedes Ausländers (wie auch jedes Deutschen) verbunden ist. Auch mit seinem Festhalten an Trainer Jorma Siitarinen fand Herold nicht die Zustimmung all seiner Berater, die insbesondere die mangelhafte Mitteilsamkeit und die fehlende Ausstrahlung des Finnen kritisieren. Sein Meisterstück als geschickter Taktiker hat Herold nach dem Aufstieg vollbracht. Obwohl kurz zuvor noch Eintracht-Schatzmeister Wolfgang Knispei kategorisch erklärt hatte, eine Neuverschuldung zugunsten der Eishockey-Abteilung komme für den finanziell nicht auf Rosen gebetteten Verein gar nicht in Frage, ging die Abteilung dann mit einem höchst riskant erscheinenden Etat (Ausgabenvolumen 3,8 Millionen Mark) in die neue Saison. Kenner der Szene vermuten in dieser Entwicklung das Ergebnis eines Heroldschen Ultimatums, seine Eissportler aus dem Verein auszugliedern und diesem mit einem eigenen Klub Konkurrenz zu machen.

Natürlich sind Zweifel erlaubt, ob die Rechnung aufgeht. Wenngleich die stark verjüngte Mannschaft allgemein etwas höher eingeschätzt wird als beispielsweise die Aufsteiger der Vorjahre, SV Bayreuth und EHC Essen-West. Und wenngleich fast die Hälfte der zur Kostendeckung erforderlichen 4500 Karten pro Spiel bereits als Dauerkarten abgesetzt werden konnten. Mehr als ein Platz zwischen fünf und acht und damit vermutlich ein frühes Scheitern in den Play-Offs ist aber nicht zu erwarten.

Das tut wohl auch Jorma Siitarinen nicht (»Wir haben diese Mannschaft nicht für eine Saison, sondern für die Zukunft gebaut«), der schon jetzt als erfolgreichster Frankfurter Eishockeytrainer einzustufen ist, obwohl unter seinen Vorgängern auch solche mit großen Namen waren. Wer erinnert sich schon noch, daß der spätere Bundestrainer Gerhard Kießling von 1960 an fast fünf Jahre lang die Eintracht trainierte (und sein Sohn Udo die ersten Rutschversuche auf dem Frankfurter Eis machte). Weder Kießling noch der ehemalige amerikanische Nationaltorwart Larry Palmer noch Herbert Ulrich, zuvor in der CSSR sogar Eishockey- und Fußballnationalspieler, schafften es, die Eintracht zur Nummer eins in Hessen zu machen. Diese Spitzenstellung hielt stets der benachbarte VfL Bad Nauheim, von dem die Frankfurter aber in mehrfacher Hinsicht profitierten. Zum einen kamen im Laufe der Jahre viele gute Spieler aus der 25 Kilometer entfernten Kurstadt in die Großstadt. Und zum anderen hielten die Nauheimer auch dann im Rhein- Main-Gebiet die Eishockey-Begeisterung hoch, als ins Waldstadion gerade zwei, drei Dutzend Zuschauer zu den Heimspielen der Eintracht kamen. Von diesem Potential hoffen die Frankfurter, auch in Zukunft zu profitieren.

Inzwischen fährt der Zug meistens in umgekehrter Richtung. Nun nehmen viele ehemalige Frankfurter Stammspieler ihren sportlichen Alterssitz in der nördlichen Kleinstadt, was von Günther Herold sicher nicht ungern gesehen wird. Zum einen tun sich die oft aus Nauheim stammenden oder in der Frankfurter Kante seßhaft gewordenen Altstars nicht schwer, noch einmal eine Bleibe zu finden. Und zum anderen kann die Konkurrenz ja nicht sonderlich überragend groß sein, wenn dort Spieler für gut und brauchbar befunden werden, die den eigenen Ansprüchen nicht mehr genügen.

Gerhard Simon